Weltentraum
Das Erfolgsalbum des Jahres 2014. German jazz Award Gold & Preis der deutschen Schallplattenkritik. Bestes Jazz Album 2014: #1 Jazzwise Critic`s Poll. „Ein Meisterwerk“ (ZDF Heute Journal)
Man könnte die Sache ganz einfach erzählen: Wie sich Michael Wollny und Eric Schaefer auf die Suche nach einem Bassisten machen, weil Eva Kruse eine Babypause einlegt. Wie sie auf Tim Lefebvre kommen, den Kollegen der US-Formation Rudder, mit dem man schon gemeinsam auf JazzToday-Tour war, der auch bereits an der Seite von Wayne Krantz und Bill Frisell spielte und gerade weil er in seinem Naturell, seinem Klang sowie auf Groove geeichten Spiel so ziemlich das Gegenteil von Kruse darstellt. Wie man sich auf einer kleinen Tour einspielt, um das Album vorzubereiten, das jetzt als „weltentraum“ vorliegt.
Ähnlich schlicht könnte man das Album selbst beschreiben, schon weil die Grundstimmung elegischer, ruhiger ist und Melodien und Themen mehr im Vordergrund stehen als bei den Vorgängern. Wenn man weiß, dass einmal „My Standards“ als Titel im Gespräch war, könnte man außerdem schnell Wollnys außergewöhnliche Materialauswahl ansprechen: Die Stücke alter wie moderner Klassiker von Guillaume de Machaut aus dem 14. Jahrhundert über Alban Berg, Edgar Varèse und Paul Hindemith bis hin zu dem Zeitgenossen Wolfgang Rihm, mit denen Wollny wieder einmal auf die europäische Musiktradition verweist, in der er so stark verwurzelt ist. Aber auch die Interpretationen von amerikanischer Filmmusik und Kompositionen der Flaming Lips bis zu Pink, die seine Aufgeschlossenheit und seinen starken Gestaltungswillen zeigen.
Das wäre alles völlig richtig. Und doch zugleich unangemessen vereinfacht. Unterschlagen würde zum Beispiel, wie wichtig der meist im Hintergrund werkelnde Tieftöner Lefebvre für den Charakter des Albums ist. Es mag sich nach Klischee anhören, aber mit dem US-amerikanischen Hünen von der Westcoast klingt das neue Trio nach [em] schlicht „männlicher“. Zugleich hört man verzückt, wie sich die mehr Harmonie-orientierte junge europäische Schule und die mehr Rhythmus-orientierte junge amerikanische Schule begegnen und sich gegenseitig anregen. Keinesfalls unter den Tisch fallen sollte außerdem die Tatsache, dass Eric Schaefers Schlagzeug, unterlegt von Lefebvres mächtigen, teilweise im Schlagbass-Stil anrollenden Clustern so wuchtig wie noch nie klingt – obwohl die CD dezenter ist. Und aufs Neue wird klar, dass Wenige die Kombination von klassischem, hartem Groove mit perkussiver Soundgestaltung so gut beherrschen wie er. Hätte nicht gerade bei den Drummern diese unglaubliche Leistungsexplosion der vergangenen Jahre stattgefunden, Schaefer würde wohl noch viel klarer als Sensation dastehen.
Vor allem aber würde die schlichte Variante einer Erklärung von „Weltentraum“ Michael Wollny nicht gerecht. Dass der von Chris Beier entdeckte und geformte Pianist mit nun 35 Jahren nahezu alle wichtigen Preise abgeräumt hat; dass er von der Süddeutschen Zeitung als „Jahrhunderttalent“ bezeichnet wird und – wie es Siggi Loch schon bei der ersten Begegnung fühlte – von der Kritik einhellig als international bedeutendster deutscher Jazzer nach Klaus Doldinger, Albert Mangelsdorff und Joachim Kühn angesehen wird; vor allem aber, dass er bei jedem Auftritt unausweichlich sein Publikum überrascht, verzaubert und verblüfft; all das liegt nicht zuletzt daran, dass Wollny mehr als andere in seine Musik investiert – bis an die psychischen wie physischen Grenzen. Und wer sich mit Wollny über Musik unterhält, wird schnell herausfinden, dass es nur wenige Musiker gibt, die sich so intensiv und so philosophisch mit ihrer Kunst beschäftigen.
„Be Free, A Way“, im Original von den Flaming Lips, demonstriert idealtypisch, welche genialen Ergebnisse das zeitigen kann. Es erreicht nahezu den Zustand der reinen Musik, wie Wollny und sein Trio hier auf der Basis eines archaischen Grundrhythmus‘ eine Melodie freilegen, dynamisch steigern und geradezu atemberaubend einfach zurückführen. Nicht minder beeindruckend ist, wie Wollny bei „In Heaven“, einer David-Lynch-Filmmusik, einen vom erdigen Bass Lefebvres initiierten schweren, prototypisch afroamerikanischen Blues erst scheinbar irrlichternd, dann immer konkreter mit europäischer Tradition auflädt. Während er andersherum das Volkslied „Mühlrad“ radikal dekonstruiert oder Edgard Varèses „Un grand sommeil noir“ fast lyrisch begradigt.
Ob bei Paul Hindemiths ebenfalls gar nicht mehr so sperrigen „Rufe in der horchenden Nacht“ (der Nachtmensch Wollny hat auch von Alban Berg „Nacht“ ausgesucht) bis zur elegischen eigenen Komposition „Engel“ – Wollny hat einen über technische oder stilistische Fragen derart erhabenen Grad erreicht, dass er jeden Moment nach seiner Empfindung neu und überraschend gestalten kann. Und entsprechend auf seine Begleiter eingehen, sie zur Geltung kommen lassen kann, wie man beim überwältigenden Finale sieht: Der wunderbare Theo Bleckmann verwandelt da Pinks Riot-Girl-Hymne „God Is A DJ“ erst in ein zartes Kunstlied, bevor er mit Wollny, Lefebvre und Schaefer einen Klangvesuv auftürmt.
Es gibt indes kein Stück von „weltentraum“, in dem man nicht eine Fülle von Entdeckungen macht, wenn man genau hinhört. Wahrscheinlich hört es nie auf, dass diese Musik Neues preisgibt. Mehr kann man von einem Album nicht verlangen. Selten genug bekommt man es. Weil es alles andere als so einfach ist, wie es am Ende scheint.
Michael Wollny / piano & harpsichord on 14
Tim Lefebvre / upright bass
Eric Schaefer / drums
Recorded by Adrian von Ripka, September 24 & 25, 2013 at Bauer Studios, Ludwigsburg
God Is A DJ recorded by Sound Studio n, March 21, 2013 live at Philharmonie Cologne
Mixed and mastered by Adrian von Ripka
Produced by Siggi Loch with the artists
Cover photo by Jörg Steinmetz