Wunderkammer
Ein Sound-Trip in wundervolle Klangwelten des musikalischen Abenteurers Michael Wollny.
Michael Wollny ist ein musikalischer Abenteurer. Einer, der immer neue Klänge aufspürt – und sein Publikum stets auf spannende Entdeckungsreisen schickt. Das Echo ist dementsprechend. Mit dem Trio [em] gewann er 2009 beim neuen, hochkarätigen BMW-Jazz-Award in München sowohl den Jury- als auch den Publikumspreis. Und die Fachpresse schwärmt seit Jahren über Wollnys Musik, ob solo oder im Verein mit anderen Musikern eingespielt: Von Wollny als der „Lanzenspitze einer neuen Generation europäischer Jazzmusiker“ kündete das französische „Jazz Magazine“; „magische Sounds“ hörte das „Fono Forum“ bei ihm, und „Klaviermusik, wie es sie in dieser Form vorher vermutlich nicht gab“ erkannte die Zeitschrift „Jazzthing“. Als hätten die Kritiker allesamt schon diese neue CD gekannt: „Wunderkammer“. Zusammen mit der Cembalistin Tamar Halperin und dem Produzenten Guy Sternberg sucht Wollny hier nach dem nie Gehörten. Diese CD ist ein Sound-Trip in die wunderbaren Welten, die entstehen, wenn man einen ganzen Museumsraum historischer und moderner Tasteninstrumente miteinander kombiniert.
Was Tasten hat und lange Zeit nicht recht zusammenzupassen schien: hier hat man es auf einem Fleck. Cembalo, Celesta, Harmonium, Fender Rhodes, Konzertflügel: ein Kaleidoskop tastbarer Möglichkeiten. Der harte Federkiel-Klang des Cembalos. Das „himmlische“ Klingeling einer Celesta. Die warme, sakral erprobte Klangluft eines Harmoniums. Der bezaubernd schwingende Metallzungen-Sound eines Fender-Rhodes-E-Pianos. Und die verlässliche Brillanz eines Konzertflügels. Viele musikalische Sphären. Der Titel „Wunderkammer“ trifft schon deshalb den Kern. Wunderkammern – das waren die geheimnisvollen Räume in Schlössern oder Klöstern, in denen in der Spätrenaissance und im Barock Fürsten und Bischöfe ihre kuriosen Schätze aufbewahrten. Die reichten vom Stoßzahn eines Narwals bis hin zu ostasiatischem Porzellan. Nicht zu vergessen: Spielautomaten, Globen, chirurgische Instrumente. Viele wunderliche Dinge, die den Betrachter in Erstaunen versetzen sollten. Von solchen Wunderkammern, Kuriositätenkabinetten im Dienste der Welt-Erkenntnis, ist Michael Wollny fasziniert: „Sie sollten immer auch ein Abbild der Welt im Kleinen sein. Viele Momente setzen sich zu einem großen Ganzen zusammen.“
Wie auf dieser CD. Fremdartig-schön entfaltet sich die Musik hier in zwölf Stücken. Aus sparsamen Motiven nähern sich da etwa im allerersten Stück unterschiedliche Tasten-Farben einander an: Das Ticken einer Uhr scheint man zu hören, darüber schreitet gemächlich die Zeit in unterschiedlichen Stimmungen dahin. In anderen Stücken flirren nervöse Sounds über harten Cembalo-Akzenten, pochen weiche Rhythmen unter klirrenden Akkorden, breiten sich unter Handkantenschlägen knallender Bässe wallende Tremoli aus, rasen Endlos-Motive manisch dahin, während Schläge auf den Klavierkorpus und jazzige Phrasen coolen Drive erzeugen, oder betören wiederholte und sich stets leicht verändernde Tonfolgen das Ohr, die sich rhythmisch irritierend verhaken. Und dann wieder umfangen einen milde Akkordfolgen des Klaviers, die so „normal“ klingen, dass sie zwischen den anderen Stücken der CD erst recht etwas Exotisches haben.
Etwas äußerst Wahrnehmungsschärfendes hat diese Musik. Verunsichernd, hypnotisch, minimalistisch, unruhestiftend, schillernd, unalltäglich sind diese Klänge. Und sie sind so gemeint. Aus den Titeln lässt sich Manches erschließen. Die Stücke mit dem Titel „Kabinett“ sind einfach „Räume, in denen Unterschiedliches passiert“, so Wollny. Das Stück „Chur“ ist eine Hommage an den Schriftsteller Thomas Bernhard und einen Ort in dem Roman „Der Untergeher“, der unter anderem von dem Klaviervirtuosen Glenn Gould handelt. „Mesmer“ ist Franz Anton Mesmer gewidmet, einem Arzt und Pionier der Hypnose – was dann in der Musik deutlich zu hören ist. „Sagée“ ist inspiriert von Emilie Sagée, einer Lehrerin und berühmten Doppelgänger-Gestalt des 19. Jahrhunderts; Zeugen berichten, diese Person an zwei Orten gleichzeitig gesehen zu haben, wobei eine Gestalt die Bewegungen der anderen genau imitierte – und in diesem Musikstück imitiert das Cembalo die Tonfolgen des Klaviers, ist gleichsam der Schatten des Klaviers.
Diese CD ist ein sinnliches und intellektuelles Abenteuer. Ein musikalisches sowieso. Michael Wollnys Stücke sind hier nicht nur festgeschriebene Kompositionen. Einige entstanden auch als völlig oder nahezu freie Improvisationen, andere haben kleine improvisatorische Teile.
Wollny war fasziniert davon, eine CD aufzunehmen, die nur als Studioproduktion möglich ist – nicht zuletzt, weil er hier selbst auf verschiedenen Spuren zu hören ist. Herausgekommen ist eine Sound-„Wunderkammer“, die nach einigen Eingewöhnungsminuten ein hochgradig fesselndes Abbild heutiger und früherer Klangwelten ergibt. Und mehr: ein Sound-Trip in Innenwelten des Hörers, der staunend von einer Assoziation in die nächste getrieben wird.
Michael Wollny / piano, celesta, harpsichord, harmonium, fender rhodes
Tamar Halperin / harpsichord, celesta
All music composed by Michael Wollny
Recorded in May 2009 by Guy Sternberg at FWL Studios, Leipzig
Mixed in May/June 2009 by Guy Sternberg at LowSwing Studio, Berlin
Mastered in July 2009 by Klaus Scheuermann at 4Ohm, Munich
Produced by Guy Sternberg
Executive Producer: Siegfried Loch
Veröffentlichung: 25.09.2009